DER TAGESSPIEGEL 17.MÄRZ 1994

WILMERSDORF Leben und Arbeiten sind für die Malerin und Bildhauerin Katrin Sliwinski aus Wilmersdorf untrennbar miteinander verbunden. Ihre Wohnung ist auch gleichzeitig ihr Atelier. Schon in der Eingangstür fällt der Blick auf ein Sammelsurium von bereits fertigen und noch zu bearbeitenden Plastiken und Bildern, unzähligen Pinseln, Farben und Gerätschaften wie, Hammer, Meißel und Säge. Ein buntes Spektrum von Dingen wie Nägeln, Schrauben, Knöpfen, Bändern, Schachteln und vieles mehr, die nur darauf zu warten scheinen, von Katrin Sliwinski zu einem Kunstwerk verarbeitet zu werden. Eigentlich ist ihre gesamte Wohnung ein einziges Kunstwerk.
„Meine Werke entstehen aus Dingen, die ich finde, wie schon einmal gebrauchtes Holz. Ich verbinde sie und gebe ihnen eine neue Gestalt“, sagt die Künstlerin. Katrin Sliwinski wurde 1947 in Berlin geboren und hat an der Hochschule der Künste Malerei studiert. Ihre Bilder erzählen Geschichten. Da sind zum Beispiel die sechs Indianer, die sich auf die Reise nach Portugal begeben haben, um dort den Regenbogen zu finden. Figuren wie Elefanten, Krokodile und Boote, die Zahl „5“ symbolträchtig für das Leben und die „4“ für den Tod, aber auch Buchstaben wie das „e“ bestimmen ihre Bilder. Und immer wieder große und kleine Räder, sie drehen sich für Fortbewegung und Freiheit. Die Indianer sind längst in Portugal angekommen, und der Weg der unverheirateten Künstlerin ging weiter zu neuen Gebieten.
Seit 1986 steht für die Malerin nämlich die Bildhauerei im Mittelpunkt. Sie baut jetzt Plastiken aus Holz und Pappmaché, angereichert mit allerlei Fundstücken sowie Gegenständen aus dem alltäglichen Bereich.
„Die verwendeten Materialien haben für mich ein eigenes Leben, sie erlangen eine neue Form, die ihnen einen neuen Sinn gibt“, sagt sie. Das tragende Element sind auch hier wieder die Räder. „Ich benutze dieses bewegliche Medium in meinen Werken, um den Beschauer anzuregen, etwas damit zu tun. Alle meine Werke kann man schieben, ziehen und auseinandernehmen. Aber sie brauchen auch immer jemanden, der es macht, sonst sind sie statisch“, erklärt sie.
So hat sie im Zuge eines Bildhauerstipendiums von Philipp Morris 1988 noch hauptsächlich vierrädrige Wagen gebaut. In der Folgezeit rückten immer mehr große phallische Figuren aus Holz oder Pappmaché in den Vordergrund ihres Schaffens. „Hermaphroditen“ genannte Phantasiewesen, die männliche und weibliche Attribute in sich vereinen. Kunterbunt und verspielt kommen sie daher und reizen zum Berühren.
Auf einem Bildhauer-Workshop 1993 in Minden entstand zum Beispiel die „Zeitmaschine“. Eine faszinierende Konstruktion, natürlich auf Rädern, bestückt mit unzähligen Uhren - große und kleine, Federn und Rädchen nebst Kleinstteilchen aus dem Innenleben alter Radios. Da kann geklingelt werden, gedreht und geschraubt - alles verbunden mit Kabeln, Drähten und Bändern. „Für mich ist, so paradox es klingt, die einzige Konstante die Bewegung. Deshalb lassen sich auch alle meine Kunstwerke bewegen und damit verändern. Es macht mir Spaß, mit den Dingen zu spielen, und ich möchte den Betrachter auffordern, es auch zu tun.“
ANETTE KOHLS - DER TAGESSPIEGEL 17.MÄRZ 1994
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